Samstag, 28. März 2020

"Bin immer das SinnBILD für schlechte Artikel" - Praktikant kündigt wegen Cybermobbing


„Erklärt eurem Praktikanten mal den Unterschied zwischen ‚seid‘ und ‚seit‘.“. Kommentare wie dieser drücken täglich auf die Seele von unschuldigen Praktikanten bei großen Online-Magazinen. Ein frischer Aussteiger berichtet über seine Zeit als Praktikant beim Springer Verlag und darüber, dass die meiste Zeit für das Erlernen der „Corporate Ideology“ draufgeht. Bevor das richtige WeltBILD mit allen Details eingeprägt wurde, sind „Feder und Tinte“ den Neuzugängen nämlich strengstens verboten. Mehr dazu im Artikel.




Berlin – Die Wurzel des Erfolges der BILD-Zeitung ist, dass unter ihren Lesern Inhalte nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Kommt es jedoch zu Rechtschreibfehlern, unpassenden Überschriften, oder zu offensichtlichen Clickbaits, dann sucht der Leser die Schuld meist bei den Unschuldigen: „Na, heute mal wieder den Praktikanten ran gelassen?“. Auch Jan G. ist diesem Cybermobbing nahezu täglich ausgesetzt und will wegen dieser Aussetzer der Leser nun sein Praktikum aussetzen, anstatt es auszusitzen.

„Wofür bezahl ich BILD+ für miese Artikel von euren Praktikanten?“
„Streicht eurem Praktikanten bitte den Veröffentlichungs-Button!“
„Recherche habt ihr eurem Praktikanten noch nicht beigebracht, wa?“

„Nein ich habe ‚nämlich‘ nicht mit ‚h‘ geschrieben und ich war nicht verantwortlich dafür, dass die Überschrift nichts mit dem Artikel zu tun hatte!“, regt sich Jan auf, als er aus Erinnerungen erzählt. Da er bei seinen Schilderungen immer wieder mit den Tränen kämpft, wird deutlich, welch seelischer Belastung Praktikanten durch dieses Cybermobbing ausgesetzt sein müssen. Er erläutert, dass solche Fehler durch Praktikanten gar nicht möglich seien, weil diese die Redaktion niemals betreten dürfen.

Damit eine eventuelle Laufbahn als BILD-Journalist überhaupt greifbar wird, muss man nämlich erstmal mehrere Monate an Kursen teilnehmen, um die „Corporate Ideology“ im Geiste zu manifestieren. Die BILD-Zeitung, für die Jan tätig werden wollte, bewegt sich hauptsächlich in den Bereichen Angst, Hass, Titten und Wetterbericht, wie auch eine bekannte Vereinigung von Ärzten einst feststellte. Wie man Angst und Hass erzeugt, gegen wen diese sich richten sollen und wer davon profitieren soll, wird bis ins kleinste Detail geplant und geschult. „Es reicht nicht, SO zu schreiben – Du musst SO denken!“, ergänzt der scheidende Praktikant.

Er enthüllt außerdem, dass zum Beispiel „seid-seit-Fehler“ grundsätzlich im Schnitt für 150 bis 200 Berichtigungskommentare führen und deshalb gezielt integriert werden. Jan G. erinnert sich, wie er ausgebeutet wurde: „Die Kommentare erzeugen Reichweite auf dem Rücken von uns Praktikanten. Niemand hat je offiziell gesagt, dass ich es war. Nein, man lässt die Leute einfach kommentieren, damit auch andere an die Fehler der Praktikanten glauben. So erschafft man einen Sündenbock ohne ihn jemals selbst zu benennen und sahnt dabei Reichweite und Klicks ab.“.

Autor: Adriano Holatz

Bilder (verändert):
1) commons.wikimedia.org, Lizenzfrei
2) pixabay.com, Lizenzfrei
3) dreamstime.com, Lizenz erworben


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