„Erklärt eurem Praktikanten mal den Unterschied zwischen ‚seid‘
und ‚seit‘.“. Kommentare wie dieser drücken täglich auf die Seele von
unschuldigen Praktikanten bei großen Online-Magazinen. Ein frischer Aussteiger
berichtet über seine Zeit als Praktikant beim Springer Verlag und darüber, dass
die meiste Zeit für das Erlernen der „Corporate Ideology“ draufgeht. Bevor das richtige
WeltBILD mit allen Details eingeprägt wurde, sind „Feder und Tinte“ den
Neuzugängen nämlich strengstens verboten. Mehr dazu im Artikel.
Berlin – Die Wurzel des Erfolges der BILD-Zeitung ist, dass
unter ihren Lesern Inhalte nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Kommt
es jedoch zu Rechtschreibfehlern, unpassenden Überschriften, oder zu
offensichtlichen Clickbaits, dann sucht der Leser die Schuld meist bei den
Unschuldigen: „Na, heute mal wieder den Praktikanten ran gelassen?“. Auch Jan
G. ist diesem Cybermobbing nahezu täglich ausgesetzt und will wegen dieser
Aussetzer der Leser nun sein Praktikum aussetzen, anstatt es auszusitzen.
„Wofür bezahl ich BILD+ für miese Artikel von euren
Praktikanten?“
„Streicht eurem Praktikanten bitte den
Veröffentlichungs-Button!“
„Recherche habt ihr eurem Praktikanten noch nicht
beigebracht, wa?“
„Nein ich habe ‚nämlich‘ nicht mit ‚h‘ geschrieben und ich war
nicht verantwortlich dafür, dass die Überschrift nichts mit dem Artikel zu tun
hatte!“, regt sich Jan auf, als er aus Erinnerungen erzählt. Da er bei seinen
Schilderungen immer wieder mit den Tränen kämpft, wird deutlich, welch
seelischer Belastung Praktikanten durch dieses Cybermobbing ausgesetzt sein
müssen. Er erläutert, dass solche Fehler durch Praktikanten gar nicht möglich
seien, weil diese die Redaktion niemals betreten dürfen.
Damit eine eventuelle Laufbahn als BILD-Journalist überhaupt
greifbar wird, muss man nämlich erstmal mehrere Monate an Kursen teilnehmen, um
die „Corporate Ideology“ im Geiste zu manifestieren. Die BILD-Zeitung, für die
Jan tätig werden wollte, bewegt sich hauptsächlich in den Bereichen Angst,
Hass, Titten und Wetterbericht, wie auch eine bekannte Vereinigung von Ärzten
einst feststellte. Wie man Angst und Hass erzeugt, gegen wen diese sich richten
sollen und wer davon profitieren soll, wird bis ins kleinste Detail geplant und
geschult. „Es reicht nicht, SO zu schreiben – Du musst SO denken!“, ergänzt der
scheidende Praktikant.
Er enthüllt außerdem, dass zum Beispiel „seid-seit-Fehler“
grundsätzlich im Schnitt für 150 bis 200 Berichtigungskommentare führen und
deshalb gezielt integriert werden. Jan G. erinnert sich, wie er ausgebeutet wurde:
„Die Kommentare erzeugen Reichweite auf dem Rücken von uns Praktikanten.
Niemand hat je offiziell gesagt, dass ich es war. Nein, man lässt die Leute
einfach kommentieren, damit auch andere an die Fehler der Praktikanten glauben.
So erschafft man einen Sündenbock ohne ihn jemals selbst zu benennen und sahnt
dabei Reichweite und Klicks ab.“.
Autor: Adriano Holatz
Bilder (verändert):
1) commons.wikimedia.org, Lizenzfrei
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3) dreamstime.com, Lizenz erworben
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